Begrüssung

Begrüssung anlässlich der Eröffnung des Schweizerischen Hochschulzentrums für Musikphysiologie durch Prof. Dr. h.c. Daniel Fueter, Vorsitzender der Konferenz Musikhochschulen Schweiz KMHS und Direktor der Hochschule für Musik und Theater Zürich – 9. Mai 2006

Sehr verehrte Damen und Herren,

Der Spruch Henry Fieldings ist Ihnen vermutlich bestens bekannt: „Man sollte niemals zu einem Arzt gehen, ohne zu wissen, was dessen Lieblingsdiagnose ist.“ Ich habe Vertrauen in alle Ärztinnen und Ärzte, denn alle, die ich kenne, lieben Musik. Auf die Diagnose, dass ich weiter Musik machen solle, und mir das auch gut tun würde, und dass das etwas Schönes sei, kann ich mich verlassen, auch wenn sie mich nie am Klavier gehört haben, geschweige denn sich meinen kompositorischen Versuchen ausgesetzt hätten.

Warum ist das so? Ich verlasse mich auf die blosse Empirie, schlimmer noch auf meine unüberprüfte persönliche Statistik: Kein Berufsstand zählt so viele Musikliebhaberinnen, Musikkenner, Doppelbegabungen (Musik plus) wie die Ärzteschaft. Und keinen Beruf nennen Musikerinnen und Musiker häufiger als einzige einst in Betracht gezogene Alternative zu ihrer Tätigkeit als den Arztberuf.

Wenn ich beifüge, dass vor Jahrzehnten mit mir musikalisch weit begabtere Kollegen die Schulbank drückten, die erfolgreiche Mediziner wurden (ich war an einem Knabengymnasium), und mich der quälenden und selbstzerstörerischen Ungewissheit überliessen, wie überlegen sie mir erst als Musikerinnen und Musiker gewesen wären, werden Sie verstehen dass die die Statistik mich auch etwas beunruhigt.

Trotz dieser persönlichen Beunruhigung zum Thema Musik und Medizin begrüsse ich Sie im Namen der Konferenz Musikhochschulen Schweiz und der gastgebenden Hochschule Musik und Theater Zürich sehr herzlich zur Eröffnung des Schweizerischen Hochschulzentrums für Musikphysiologie.

Ich denke, dass sich in diesem Zentrum mein Vertrauen in die Verbindung Musik und Medizin in idealer Weise konkretisiert. Und hier kann ich auf wissenschaftliche Fundamente bauen: Die Studien unter Leitung des Musikmediziners Horst Hildebrandt an Schweizer Musikhochschulen haben belegt, welch wohltuende Wirkung die musikphysiologische Begleitung des Musikstudiums mit sich bringt. Sie alle kennen die Ergebnisse dieser Studien.

Ich kann mir meine gewohnte Frotzelei unserm Kollegen gegenüber (er kann sie schon nicht mehr hören) auch heute nicht verkneifen: Ein Musikmediziner an einer Musikhochschule ist der sinnvollste Luxus, den sie sich leisten kann. Die Anzahl kurzfristiger Absagen vor Diplomen in Folge Sehnenscheidenentzündung hat signifikant abgenommen. Es gibt viele andere und bessere Beispiele, aber wenige dermassen „handgreifliche“.

Aber auch ein zweites Vertrauen ist mit der Gründung des Zentrums verbunden: Das Vertrauen in die Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen Musikhochschulen. Das Zentrum ist neben einer Vielfalt von Absprachen, gemeinsamen bildungspolitischen Vorstössen, pragmatischen Kooperationen, hilfreichem Wissenstransfer und anspornendem Ideenaustausch ein Ergebnis einer kollegialen Solidarität, welche ich hier in aller Öffentlichkeit und dankbar erwähnen will. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Schweiz. Mit der Gründung des Zentrums machen wir den Schritt vom sinnvollen Luxus einzelner Schulen (ich kann’s nicht lassen) zu einer Notwendigkeit innerhalb der schweizerischen Musikhochschulausbildung.

Ich nenne gerne die drei Persönlichkeiten, die als Gründungsgruppe des Zentrums für Ihr Engagement besonderen Dank verdient haben: Johanna Gutzwiller aus Luzern, Irene Spirgi aus Bern und meinen erwähnten Kollegen Horst Hildebrandt.

Gerade die Verbindungen zwischen Musik und Medizin, welche über die Statistik herausgehen (die ganzheitliche Betrachtung des Menschen, die Bedeutung der Empathie und der unesoterisch gemeinte Anteil an Unerklärbarem oder Magie oder Charisma, die Herausforderung durch das Hier und Jetzt), gelten insbesondere auch für die Einbindung musikphysiologischer Forschung und Praxis an Musikhochschulen.

Die Praxisorientierung der musikalischen Ausbildung – in distanzierter Betrachtung der Lehrperson und in engagierter Anteilnahme am Vorbild, durch die Kenntnisnahme des Wissens und der Fertigkeiten eben dieser Lehrperson, aber auch assistierend in Zusammenarbeit mit ihr (das heisst Lehren und Lernen als Austausch von Wissen, aber auch als gemeinsames Tun, auf der Basis der Lehrbücher, aber auch auf der Basis der mündlichen oder non-verbalen Kommunikation und Tradition) – diese Praxisorientierung beschreibt, soweit ich als Laie solches zu erkennen vermag, auch die geplante musikphysiologische Praxis im Musikhochschulbereich.

Die Schwerpunkte des Schweizerischen Hochschulzentrums für Musikphysiologie werden Lehre und Forschung sein, daneben werden aber auch Sprechstunden einen gewichtigen Platz einnehmen und der Weiterbildung grosse Bedeutung zukommen. Für detailliertere Aussagen darf ich auf die Informationen im aufliegenden kleinen Faltblatt verweisen.

Am Informationstisch wären überdies die langjährige Mitstreiterin von Horst Hildebrandt, Marina Sommacal, kennen zu lernen, wie auch Elisabeth Danuser, die Leiterin der Weiterbildung am Departement Musik und ihr Mitarbeiter Martin Sonderegger. Ich danke auch Ihnen für alle Unterstützung.

Musikphysiologische Betreuung ist angesichts der zunehmenden Belastung der Musikstudierenden und Berufsmusikerinnen und Berufsmusiker zu einem Muss geworden. Die Musikstudierenden müssen unter erschwerten Bedin- gungen vermehrt unverwechselbare und starke Persönlichkeiten werden, um im Beruf standzuhalten. Dazu gehört auch die Förderung ihrer mentalen und körperlichen Voraussetzungen.

Es wird der Musik, weil sie unbegrifflich ist, vielsagend aber wortlos wie eine Landschaft, Natürlichkeit nachgesagt. Musikalische Formen suggerieren oft ein organisches Wachsen. Der Atem wird als Realität und Chiffre immer wie- der zitiert. Und doch hat in der klassisch akademischen Ausbildung lange der physiologische Aspekt nur bezüglich der technischen Bewältigung der gestellten Probleme unser Interesse geweckt, nicht aber hinsichtlich gleichsam der Grundverfassung der Musizierenden. Die Gründung des Schweizerischen Hochschulzentrums für Musikphysiologie belegt, dass wir dazulernen.

Es ist schön, dass diese Gründungsfeier in eine Zeit fällt, da an unserer Schule eine andere Kooperation zum Blühen kommt, jene der Europäischen Kammermusikakademie, deren Vertreterinnen und Vertreter ich hier gesondert begrüssen möchte. Das Zusammenspiel nicht nur in der Kammermusik sondern auch zwischen den Kunstrichtungen und eben auch Fachrichtungen und Institutionen macht Hoffnung.

Unser Nationalheld sagte: Der Starke ist am mächtigsten allein. Es ist ihm zu widersprechen. Brechts Frage nach dem Koch, der des Grossen Alexanders Feldzug – oder ging es um Cäsar? – begleitete, ist mehr denn je berechtigt. Ich meine das jetzt nicht physiologisch auf Ernährungsgrundsätze hin betrachtet, sondern auf die Idee des Zusammenspiels, des Ensembles, der Vernetzung in weitestem Sinn. Gerne konkretisiere ich den Vorzug solcher Vernetzungen bezüglich des Zentrums indem ich mich in unser aller Namen bei der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft, dem Schweizerischen Musikpädagogischen Verband und der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin für die hervorragende Kooperation im Sinne der Musikphysiologie bedanke.

Bevor ich das Wort weitergebe, danke ich allen, die auf den heutigen Tag hin Vorarbeiten geleistet haben, gratuliere ihnen, und danke dem Referenten Herrn Professor Dr. med. Christoph Wagner für die Bereitschaft, uns einen Vortrag zu Hand und Instrument zu präsentieren. Er ist für diesen Anlass zweifellos die Idealbesetzung. Seiner Pionierarbeit ist es zu verdanken, dass Musikphysiologie im deutschsprachigen Raum in die Musikhochschullandschaft eingebracht wurde. Ich schliesse mit dem Dank für Ihr Interesse am neuen Zentrum und für die Aufmerksamkeit, die Sie mir zukommen liessen.